Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung am 18.06.2018 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 11.06.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.06.2018, 11:32 |
A5: Asylentscheidungen sind kein Massengeschäft – sondern Einzelfallentscheidungen. Bremer GRÜNE gegen Anker-Zentren
Antragstext
Die Bremer GRÜNEN lehnen die Einführung so genannter Anker-Zentren in
Deutschland ab. Auf Landes- und Bundesebene soll Bremen seine politischen
Möglichkeiten nutzen, die Errichtung solcher Zentren zu verhindern. Die GRÜNEN
in Bremen werden Gesetzesvorhaben, die die Einführung von Anker-Zentren in
Deutschland ermöglichen oder begünstigen, ablehnen.
Begründung
Die Einführung von Anker-Zentren und den damit verbundenen, geplanten Verfahrensrichtlinien ist im Koalitionsvertrag geregelt. Allein der Titel des Unterpunktes im Koalitionsvertrag „Effizientere Verfahren“ verkennt und missachtet die Notlagen der in Deutschland ankommenden Menschen.
„Effizient“ steht im Kontext der Asylverfahren für schnell und kostengünstig – keine gute Ausgangslage für die Antragsteller*innen. Die Lebens- und Fluchtgeschichten dieser Menschen sind sehr komplex und oft mit traumatischen Erlebnissen verknüpft, und viele Betroffene können nur unter hoher emotionaler Belastung davon berichten. Wenn Kosteneffizienz und Zeitdruck vor die Menschenwürde gestellt werden, dann sind qualifizierte und korrekte Einschätzungen und Einzelprüfungen nicht mehr möglich.
Argumentiert wird folgendermaßen: „Damit die Asylverfahren schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden können, erfolgt künftig deren Bearbeitung in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER), in denen BAMF, BA, Justiz, Ausländerbehörden und andere Hand in Hand arbeiten.“
Es gibt keinerlei Belege oder Best-Practice-Beispiele dafür, dass das Zusammenspiel von Behörden durch die räumliche Zusammenlegung besser funktioniert und dass eine sinnvolle Verzahnung von Kompetenz und Ressourcen bei der Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden durch ein gemeinsames Dach gelingen könnte.
Asylentscheidungen sind kein Massengeschäft – sondern Einzelfallentscheidungen. Grundlage für gute und eingehend geprüfte Entscheidungen sind kompetente, gut ausgebildete Fachkräfte, denen zeitliche Ressourcen und ein Netz von professionellen Sachverständigen zur Verfügung stehen und die nach Einsicht in den individuellen Fall zu einer Entscheidung kommen müssen.
Kompetente und kluge Asylbescheide werden von kompetenten und klugen Entscheider*innen erarbeitet– diese sind gut ausgebildete Expert*innen. Expertise erwächst nicht automatisch durch behördenübergreifende Bürogemeinschaften.
Es ist wichtig, jetzt an der Zeit und angemessen, endlich die Anker-Zentren-Phantasien, die durch Deutschland geistern, als das zu bezeichnen was sie sind: Unter dem Deckmantel vermeintlicher Effizienz sind sie das Einfallstor für Asylverfahren, die grundlegenden Ansprüchen an die Menschenrechte nicht genügen. Sie legen die Axt an Rechtsstaatlichkeit und Humanität. Anker-Zentren sind ein weiterer Versuch das Recht auf Asyl noch weiter auszuhöhlen, unmenschlicher zu gestalten und sich abzuschotten.
Grundsätzlich werden die Asylantragssteller*innen im Koalitionsvertrag unter den Generalverdacht des Betrugsversuches gestellt. Es wird vom „Recht der Bundesrepublik Deutschland zu wissen, wer in unserem Land leben will“ und „Mitwirkungspflichten der Ankommenden“ gesprochen.
Am 24.05.2018 haben 24 namhafte Bundes- und Landesverbände aus den Bereichen der Wohlfahrt, Kirchen, Geflüchtetenhilfe und des Kinderschutzes deutlich Stellung bezogen gegen die strukturellen und organisatorischen Überlegungen zu Anker-Zentren und stellen fest, dass die geplanten Anker-Zentren nicht dazu geeignet sind, der besonderen Lebenssituation und den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden und ihre Rechte zu achten. Kinder und Jugendliche, gerade auch junge Geflüchtete ohne Familie, über Monate oder womöglich sogar Jahre hinweg zu kasernieren, verstößt gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Die UN-Kinderrechtskonvention fordert das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als einen wesentlichen Gesichtspunkt einzubeziehen. Kinder haben ein Recht auf ein gutes Aufwachsen, Teilhabe und Bildung, Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung. Deshalb stellen wir uns entschieden gegen die Isolierung und Kasernierung von Geflüchteten in den integrations- und kinderfeindlichen Großunterkünften.
Anfang Juni 2018 hat der Bundesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Perfidie der geplanten Anker-Zentren eindrucksvoll verdeutlicht: Für einen Großteil der Menschen bestünde die Gefahr, jahrelang völlig unzureichenden Bedingungen in den geplanten Anker-Zentren ausgesetzt und isoliert zu werden. Geflüchtete würden in den Zentren von sozialen Kontakten, Beratungsmöglichkeiten und dem Zugang zum Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Da viele Klagen gegen einen ablehnenden Asylbescheid erfolgreich seien, würden viele Betroffene Monate bis Jahre in der Einrichtung bleiben müssen und Integrationsmöglichkeiten ungenutzt bleiben.
Dennoch will die Große Koalition es zulassen, dass Familien mit minderjährigen Kindern in der Regel bis zu sechs Monate an solchen Unorten leben sollen. Auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete werden zunächst in Anker-Zentren gebracht und verbleiben dort bis zu ihrer Altersfeststellung. Im Falle von Widerspruchsverfahren gegen die Altersfeststellung werden die Jugendlichen auch hier entgegen der im deutschen Recht verankerten Unschuldsvermutung als volljährig eingestuft und haben bis auf Weiteres keinen Zugang zu den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Erwachsene Menschen sollen in den Anker-Zentren „in der Regel“ nicht mehr als 18 Monate verbringen. In diesem Zeitraum sind ihre Verfahren schwebend, sie haben keinen Zugang zu Bildung und umfassender gesundheitlicher Versorgung. Auch Beratungsangebote für geflüchtete Menschen, sowie anwaltliche Hilfen können in dieser Zeit nur mit Zustimmung der Einrichtungsleitung in Anspruch genommen werden.
Es ist Kern grüner Politik, den Schwächsten Schutz und Hilfe zu geben. Es ist für uns politisches Selbstverständnis, Schutzsuchende nicht als Betrüger*innen unter Generalverdacht zu stellen und sie in Lagern einzupferchen.
Unter dem Deckmantel der „Effizienz“ und „Rationalisierung“ wird kaltherzig und skrupellos die Gefährdung von Kindeswohl in Kauf genommen, jegliche Bemühung von Integration konterkariert und einer Wegsperrmentalität gefrönt, die beschämend ist.
Aufrechte und humane Geflüchtetenpolitik, geordnete und rechtsstaatliche Verwaltungsverfahren brauchen Zuwendung, Empathie, Professionalität, Personal, Zeit und Geld.
Anker-Zentren stehen für eine populistische Symbolpolitik, ausgetragen auf den Schultern der Schwächsten und Geschundensten.
Dieser Populismus ist mit uns GRÜNEN nicht zu machen.
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